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Für ein Leben zu Hause statt im Heim

I.D. Zunehmend möchten Menschen mit Behinderung trotz teils umfangreichem Bedarf an persönlicher Hilfe zuhause leben. Nach einer längeren Projektphase (seit 2011) kann dies der Kanton Thurgau seit dem 1. September 2016 definitiv mit dem Assistenzbudget mitfinanzieren. Die beeinträchtigte Person wird mit diesem Modell zum Arbeitgeber und erhält monatlich vom Kanton gegen Rechnung das Assistenzgeld, mit dem sie ihre Assistentinnen und Assistenten oder Dienstleister bezahlt. Derzeit nehmen im Kanton Thurgau sieben Menschen im Assistenzbudget teil, einer davon ist Olaf Köhler aus Kreuzlingen.

Der 28. Dezember 2012 hat das Leben von Olaf Köhler grundlegend verändert. Der damals 48-jährige Musikdozent verunfallte im Kanton Graubünden mit den Skiern und ist seither ab dem Hals abwärts gelähmt. Er lag mehrere Wochen im künstlichen Koma, danach war er mehrere Monate im Paraplegikerzentrum in Nottwil. Mittlerweile aber lebt er trotz seiner Behinderung nicht in einem Wohnheim einer Behinderteneinrichtung, sondern wieder zuhause in Kreuzlingen. Möglich ist das vor allem wegen des Assistenzbudgets.

Nur im Thurgau und in Bern
Seit September 2011 finanziert das Sozialamt des Kantons Thurgau Menschen mit einer Behinderung mittels Assistenzbudget das Leben zuhause statt in einer Behinderteneinrichtung. In der Sozialhilfeverordnung steht: «Eine Betreuung ausserhalb einer Einrichtung mit Leistungsvertrag, die einer Person mit Behinderung auf Grund ihrer besonderen Situation besser gerecht wird und nicht teurer als in einer Einrichtung mit Leistungsvertrag zu stehen kommt, kann der Kanton im Einzelfall mitfinanzieren.» Das Angebot gibt es nebst dem Thurgau auch noch im Kanton Bern.

Im Kanton Thurgau wird mit dem Assistenzbudget derzeit sieben Menschen das Leben zuhause statt in einer Behinderteneinrichtung ermöglicht. «Das Ziel ist es, dass die Menschen trotz ihrer Behinderung so selbständig wie möglich leben können», sagte Michèle Frei vom Sozialamt des Kantons Thurgau an einer Medienorientierung.

Um ein Assistenzbudget zu erhalten, muss man ein Gesuch an das Sozialamt stellen. Dieses nimmt die ersten Abklärungen vor und wendet sich dann an eine externe Fachstelle, das Assistenzbüro ABü mit Sitz in Biel. Das Assistenzbüro klärt im Auftrag des Sozialamts den Hilfebedarf ab. Danach bewilligt das Sozialamt die Finanzierung im Rahmen des Assistenzbudgets und zahlt die monatlichen Beträge aus. Mit der Aufsicht wird hingegen wieder das Assistenzbüro ABü betraut.

Ein Nachmittag als Dozent tätig
«Mit dem Assistenzbudget wird man zum Arbeitgeber», sagte Michèle Frei vom Sozialamt des Kantons Thurgau. Olaf Köhler hat mit Hilfe seiner Ehefrau vier bis fünf Assistentinnen angestellt, die es ihm ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben in seiner gewohnten Umgebung zu Hause zu führen. Er kann sogar einen Nachmittag pro Woche wieder an der Pädagogischen Hochschule in Rorschach unterrichten. Die medizinische Pflege indes läuft in der Regel über die Spitex.

Für Olaf Köhler und seine Ehefrau ist das Assistenzbudget die Möglichkeit, trotz den schwierigen Umständen ein möglichst normales Leben zu führen. «Mir geht es zuhause in meinem gewohnten Umfeld sicher besser als in einer Behinderteneinrichtung», ist Olaf Köhler überzeugt.


Dank des Assistenzbudget kann Olaf Köhler zuhause leben. Dort kann er zum Beispiel mit Hilfe einer Mundmaus am Computer die Zeitung lesen.

Rund 2130 betreute Personen im Kanton Thurgau
Im Kanton Thurgau leben derzeit rund 2130 betreute Personen mit Beeinträchtigungen und IV-Rentenstatus in 36 Wohnheimen und geschützten Werkstätten.  Ca. 690 dieser Personen haben ihren Wohnsitz in anderen Kantonen, welche auch für deren Finanzierung zuständig sind. Dem gegenüber werden ca. 370 Personen mit Wohnsitz im Thurgau in Wohnheimen und Werkstätten in anderen Kantonen betreut.

Assistenzbudget Kanton Thurgau

Das Assistenzbüro – Hilfe im Alltag
Der Verein Assistenzbüro ABü mit Sitz in Biel bezweckt die Förderung und Weiterentwicklung vom persönlichen Assistenzmodell in der Schweiz. Es ermöglicht Menschen mit Behinderungen, die bei der Bewältigung alltäglicher Lebensverrichtungen auf persönliche Hilfe angewiesen sind, ihr Leben mit Assistenz selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten. Im Sinne der Selbsthilfe sind beim ABü sowohl im Vorstand als auch in der Geschäftsstelle vorwiegend Menschen mit Behinderungen tätig. Als erstes Projekt führt das Assistenzbüro ABü die Durchführungs- und Beratungsstelle des Pilotprojektes Assistenzbudget im Kanton Bern im Auftrag der Gesundheits- und Fürsorgedirektion Bern. Im Kanton Thurgau dient das ABü als externe Fachstelle bei der Durchführung des Assistenzbudgets.