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Claudius Graf-Schelling, Regierungspräsident Kanton Thurgau: Zum internationalen Tag der Pressefreiheit von Dienstag, 3. Mai 2005

«Die entführte irakische Fernsehjournalistin Raeda Al-Wazan ist ermordet worden» - dieser Satz war kürzlich in den Medien zu lesen. Und dies ist kein Einzelfall, 56 Journalistinnen und Journalisten starben allein im vergangenen Jahr weltweit bei der Ausübung ihres Berufs. 23 von ihnen im Irak, aber niemand in der Schweiz. Selbstverständlich und zum Glück müssen Medienschaffende in der Schweiz nicht um Leib und Leben bangen, wenn sie gegen wirtschaftlich Mächtige oder gegen den Staat schreiben. Es stellt sich aber die Frage, ob bei uns nicht manchmal feinere Mechanismen spielen, die eine Meinung zwar nicht unmittelbar unterdrücken, deren Veröffentlichung aber mit mehr oder weniger sanftem politischen oder wirtschaftlichen Druck behindern. Letztlich läuft dies ebenso auf eine Einschränkung der Pressefreiheit hinaus. Medien sollen kritisch sein, Fragen stellen und Hintergründe beleuchten.

Claudius Graf-Schelling, Regierungspräsident Kanton Thurgau: Zum internationalen Tag der Pressefreiheit von Dienstag, 3. Mai 2005

 

«Die entführte irakische Fernsehjournalistin Raeda Al-Wazan ist ermordet worden» - dieser Satz war kürzlich in den Medien zu lesen. Und dies ist kein Einzelfall, 56 Journalistinnen und Journalisten starben allein im vergangenen Jahr weltweit bei der Ausübung ihres Berufs. 23 von ihnen im Irak, aber niemand in der Schweiz. Selbstverständlich und zum Glück müssen Medienschaffende in der Schweiz nicht um Leib und Leben bangen, wenn sie gegen wirtschaftlich Mächtige oder gegen den Staat schreiben. Es stellt sich aber die Frage, ob bei uns nicht manchmal feinere Mechanismen spielen, die eine Meinung zwar nicht unmittelbar unterdrücken, deren Veröffentlichung aber mit mehr oder weniger sanftem politischen oder wirtschaftlichen Druck behindern. Letztlich läuft dies ebenso auf eine Einschränkung der Pressefreiheit hinaus. Medien sollen kritisch sein, Fragen stellen und Hintergründe beleuchten.

Aus diesem Grund geraten sie jedoch ab und zu ins Schussfeld jener, die ihnen am liebsten einen Maulkorb verpassen möchten. Der britische Premierminister Tony Blair hält dem allerdings entgegen: «Eine freie Presse kann für jeden Politiker gelegentlich auch unbequem sein. Doch jedes vorübergehende unangenehme Gefühl oder jede gerechtfertigte Entrüstung darf uns nie gegenüber der lebenswichtigen Rolle einer freien Presse sowohl für das Wohl als auch den Schutz der Demokratie blind machen.»

Pressefreiheit und Meinungsvielfalt haben auch einen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation einer Gesellschaft, und da sieht es in der Schweiz vor allem bei den Medien nicht eben rosig aus. Die NZZ schrieb dazu in der Ausgabe vom 14. Februar dieses Jahres: «Die jüngste Pressekrise aufgrund massiv schrumpfender Werbeeinnahmen machte noch deutlicher, wie schwierig die Marktbedingungen geworden sind. Die Konzentrationstendenzen sind kaum aufhaltbar. (...) Man muss sich verabschieden von idyllischen Vorstellungen einer Vielzahl von einander konkurrenzierenden Medienunternehmen in kleinräumigen Verhältnissen.» Auch wenn klar ist, dass Pressevielfalt nicht zwangsläufig Meinungsvielfalt bedeutet, so ist umgekehrt unbestritten, dass ein Medieneintopf sicher den Tod der Meinungsvielfalt bedeutet. In der Schweiz hat sich in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren vieles bewegt. International verglichen ist die Titeldichte in der Schweiz zwar nach wie vor ausgesprochen hoch, doch der Konzentrationsprozess hat bei den Tageszeitungen zu einer völlig veränderten Situation geführt. Kleine und mittlere, historisch bedeutsame Gesinnungsblätter gingen auf in überregionalen, überparteilichen Forumszeitungen, in welche die verschiedenen Lokalteile eingesteckt werden.

Die anhaltend schlechte wirtschaftliche Situation in der Medienbranche bekommen angestellte Journalistinnen und Journalisten ebenso wie freie zu spüren. Während bei ersteren der Produktionsdruck immer mehr wächst, weil die Redaktionen aus Kostengründen möglichst schlank gehalten werden, bekommen zweitere den Druck dadurch zu spüren, dass sie ihre Geschichten kaum mehr platzieren können und dass ihre Honorare oft nicht mehr kostendeckend sind. Das wirkt sich auf die Qualität der Medienprodukte aus und hat auch einen Zusammenhang mit der Pressefreiheit. Dort, wo das Hinterfragen, das Reflektieren und das Recherchieren keinen Platz mehr haben, werden die Medien zu reinen Informationsvermittlern und gehen ihrer Rolle als vierter Macht im Staat verlustig. Die französische Geschichtsprofessorin und ehemalige Résistancekämpferin Lucie Aubrac beschreibt diese Situation wie folgt: «Die heutigen Medien begraben die Wahrheit unter einer Flut von Neuigkeiten. Sie haben keinen Orientierungssinn mehr. Das ist der erste Schritt zur Desinformation.»

Pressefreiheit ist aber auch ein Gradmesser für die Offenheit, Transparenz und Glaubwürdigkeit einer Gesellschaft und insbesondere ihrer Führung. Nebst den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen, die das Grundrecht der Pressefreiheit zu schützen und zu respektieren haben, tragen vor allem die Verleger eine grosse Verantwortung. Sie sind gehalten, ihren Redaktionen möglichst freie Hand zu gewähren und sie vor wirtschaftlichen Repressionen abzuschirmen. Hier öffnet sich oftmals ein Spannungsfeld einerseits von wirtschaftlichen Notwendigkeiten wie Auflagen-, Hörer- und Zuschauerzahlen, welche unmittelbare Auswirkungen auf das Werbevolumen haben, und anderseits der Unabhängigkeit der Redaktionen, die in der Auswahl der Themen und ihren Inhalten frei sein sollen. Medienunternehmer, die sich in einem zunehmend engeren Marktfeld bewegen müssen, sind gefordert, wenn es darum geht, der Meinungsvielfalt und somit der Pressefreiheit zum Durchbruch zu verhelfen. Deshalb ist es von grosser Bedeutung, eigenständige Medien mit eigenständigen Redaktionen zu erhalten. Freie Medien sind die Foren, wo vielfältige Meinungen und Ansichten ausgetauscht werden, wo debattiert und gestritten wird. Dadurch stiften sie Identität in einer Gemeinde, einer Region oder einem Land.

 

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