Direkt zum Inhalt springen
  • Drucken
  • Sitemap
  • Schriftgrösse
 

Regierungsrat verabschiedet neue Grundlage für Hochwasserschutz und Revitalisierung an der Thur

Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat das Hochwasserschutz- und Revitalisierungskonzept für das Thurtal, das Konzept Thur+, verabschiedet und mit einer Botschaft dem Grossen Rat zur Kenntnisnahme überwiesen. Das Konzept ist eine behördenverbindliche Grundlage im Sinne des kantonalen Wasserbaugesetzes und gilt für alle zukünftigen Wasserbauprojekte an der Thur. Es besteht aus allgemeinen Ausführungen (Teil I) und behördenverbindlichen Festlegungen (Teil II). Mit der Umsetzung wird sichergestellt, dass künftige Hochwasser schadlos abgeleitet werden und dass der Flussraum ökologisch aufgewertet wird.

Bei starken Niederschlägen kann sich die Thur innert kurzer Zeit von einem ruhigen Strom in ein reissendes Gewässer verwandeln. Es ist Aufgabe des Kantons, die Bevölkerung vor Hochwasser zu schützen. Bisher legte der Regierungsrat die strategischen Grundlagen mit einem «Thurrichtprojekt», gefolgt von einer «Thurkorrektion» mit einzelnen Projekten. Das bestehende Thurrichtprojekt datiert aus dem Jahr 1979 und war das Resultat der letzten Hochwasser von 1977 und 1978. Inzwischen ist es veraltet. Unter anderem gibt es heute gestützt auf das Bundesgesetz keinen Hochwasserschutz mehr ohne gleichzeitige Revitalisierung der Gewässer. Zudem müssen Gewässerräume festgelegt werden, damit Gewässer ihre natürlichen Funktionen erfüllen können. 

Das Konzept Thur+ stellt den Hochwasserschutz und die Revitalisierungen an der Thur auf eine neue planerische Grundlage. Das Schutzsystem soll so ausgebildet werden, dass ein hundertjährliches Hochwasser (sogenanntes HQ100) innerhalb der Dämme der Thur schadlos abgeleitet wird. 

Auslöser für die Überarbeitung waren die Mängel des heutigen Schutzsystems. Besonders kritisch sind an der Thur zwei Punkte. Zum einen sind die Dämme vielerorts nicht mehr genügend belastbar. Bereits bei einem Hochwasserereignis, das statistisch gesehen alle 30 Jahre eintreten kann (HQ30), besteht die Gefahr, dass die Wassermassen die Dämme an mehreren Stellen unkontrolliert durchbrechen. Zum anderen ist die Sohlenerosion im Flussbett weit fortgeschritten. Der Bau einer Mittelwasserrinne in Kombination mit einer harten Uferverbauung führte im Laufe der letzten Jahrzehnte dazu, dass sich das Flussbett immer tiefer eingegraben hat. Die Erosion gefährdet Infrastrukturbauten wie Brückenfundamente und Uferverbauungen sowie das Grundwasservorkommen. Sinkt die Sohle ab, fliesst Grundwasser direkt in die Thur und damit weg. Wegen der Kanalisierung der Thur ist auch die Biodiversität stark zurückgegangen: Viele Arten am und im Wasser sind verschwunden. Ehemalige Auenwälder sind vom Flusssystem abgeschnitten.

Dämme bleiben als Fixpunkt bestehen, dazwischen erhält die Thur mehr Freiraum

Das neue Konzept zeigt, wie diese Mängel behoben werden können (allgemeine Ausführungen Teil I). Es enthält die nötigen planerischen Festsetzungen in Form von Planungsgrundsätzen (Teil II) und Plänen («behördenverbindlicher Raumbedarf», «Hinweiskarte Beobachtungs- und Interventionslinien» und «Gewässerentwicklungsplan»). Fachliche Basis ist ein umfangreicher technischer Bericht, der die Machbarkeit nachweist. Alle Unterlagen sind online verfügbar unter https://thur.tg.ch.

Zentral im Konzept ist, dass die heutigen Dämme entlang der Thur als Fixpunkt bestehen bleiben. Sie sind die Grundpfeiler des grundsätzlich bewährten Hochwasserschutzsystems. Einzige Ausnahme ist die Verschiebung der Dämme in Auenschutzgebieten, damit ehemalige Auenwälder wieder an die Dynamik des Wassers angeschlossen werden können. Zwischen den Dämmen erhält die Thur mehr Freiraum: Das heutige Flussbett soll mechanisch von heute 45 auf neu 80 Meter Breite aufgeweitet werden. So finden grössere Wassermassen Platz und der Wasserspiegel steigt im Hochwasserfall weniger stark an. Eine grössere Aufweitung ist erwünscht, bleibt aber den natürlichen Fluss-Prozessen überlassen. Analysen zeigen, dass die natürliche Flussbreite der Thur bei rund 100 Metern liegt. Schranken in Form von hart verbauten Begrenzungen sollen nur noch dort gesetzt werden, wo es zum Schutz von Dämmen, Brückenpfeilern, Grundwasserfassungen, Siedlungen oder anderer Infrastrukturanlagen zwingend nötig ist. Die Entwicklung der Thur soll mit Beobachtungs- und Interventionslinien kontrolliert werden. 

Das Konzept Thur+ soll abschnittsweise über einen Zeitraum von rund 30 Jahren mit konkreten Projekten umgesetzt werden. Bei jedem Projekt ist ein umfangreicher Mitwirkungsprozess mit den Gemeinden, Bürgergemeinden, Verbänden sowie Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern, Kraftwerksbetreibern und anderen Betroffen vorgesehen. Die Kosten für die Umsetzungsprojekte werden gesamthaft auf rund 325 Millionen Franken geschätzt (verteilt auf diese 30 Jahre). Zuständig für die Baubeschlüsse ist der Grosse Rat. Ein grosses Hochwasser hätte ähnliche Kosten zur Folge. Berechnungen zeigen, dass bei einem Jahrhundertereignis Schäden von bis zu 219 Millionen Franken zu erwarten sind, bei einem Extremereignis Schäden von bis zu 573 Millionen.

Das Konzept ist ein Kompromiss

Das Konzept ist ein Kompromiss, der den Hochwasserschutz, die weiteren Zielsetzungen sowie die gesetzlichen Grundlagen erfüllt. Alle Betroffenen und Interessierten konnten sich zwischen August und Dezember 2020 über ein Vernehmlassungsverfahren einbringen. Zusammengefasst standen sich im Vernehmlassungsverfahren die Anliegen mit Fokus Natur und die Anliegen mit Fokus Landwirtschaft diametral gegenüber. Beide Gruppen lehnten das Konzept Thur+ in ihren Stellungnahmen ab. Als Folge der Fundamentalkritik hatte das Amt für Umwelt zentrale Elemente, konkret die Teile «Zustand der Dämme», «Morphologie und Hydraulik» und «Sach- und Richtplanung», von ausgewiesenen und unabhängigen Fachspezialisten überprüfen lassen. Es hat sich bestätigt, dass der bisher eingeschlagene Weg und das Konzept Thur+ richtig sind.

Behördenverbindlicher Raumbedarf mit Konzept festgelegt

Das Bundesgesetzt über den Schutz der Gewässer hat die Kantone verpflichtet, bis Ende 2018 überall wo erforderlich den Gewässerraum festzulegen. Für alle Gewässer ausser der Thur wurde deshalb bis Ende 2018 ein behördenverbindlicher Raumbedarf festgelegt. Mit dem Konzept Thur+ hat der Regierungsrat nun auch den behördenverbindlichen Raumbedarf für die Thur festgelegt. Basierend darauf müssen die Gemeinden bis Ende 2026 einen minimalen grundeigentümerverbindlichen Gewässerraum festlegen.

Weil an der Thur teilweise grosse landwirtschaftliche Nutzflächen in den Vorländern von der Festlegung betroffen sind, hat der Kanton intensiv und früh nach einer Lösung gesucht, um die Auswirkungen auf die Landwirtschaft in Grenzen zu halten und zu staffeln. Das Amt für Umwelt (AfU) hat in Rücksprache mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) einen auf die Thur massgeschneiderten Lösungsansatz erarbeitet, der einerseits die schrittweise Umgestaltung des Thurvorlandes und andererseits die schrittweise Ablösung der heutigen landwirtschaftlichen Bewirtschaftung ermöglicht. Sobald ein konkretes Projekt ausgearbeitet wird, wird der bisher minimale Gewässerraum abgestützt auf die Planung angepasst. Je nachdem ist mit der eigendynamischen Entwicklung der Thur eine weitere Anpassung möglich.

Botschaft Thur+ [pdf, 494 KB]